logisch? 

Mein Vater war stolz auf seinen logischen Verstand, eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war unlogisches Verhalten anderer anzuprangern, und natürlich beging er selbst nie derartige Fehler. Bei Nachforschungen in meinen Erinnerungen finde ich in erster Linie die permanente Selbstbeweihräucherung, scheinbar logische Erklärungen, mit denen mir der Wind aus den Segeln genommen wurde, wenn ich mir etwas wünschte, und höchst fragwürdige "logische" Lebensphilosophien. 

Man müsse immer das Schlechte erwarten, dann könne man nur positiv überrascht werden - na so was! Nun ja, wenn man davon ausgeht, dass diese Einstellung keine Auswirkung auf den Ausgang diverser Vorhaben und auf die eigene Befindlichkeit hat, in einer Vorstellungswelt, in der es keinerlei mentale Kräfte gibt, die Auswirkungen erzeugen, ist eine solche Einstellung akzeptabel, denn wer will nicht positiv überrascht werden?
Aber wie passt die Erinnerung daran, dass mein Vater im Zusammenhang mit Hellseherei über sich selbst erfüllende Prophezeiungen sprach, dazu? Die Fähigkeit zum Blick in die Zukunft, pah, so ein Quatsch! Wenn das "Vorhergesehene" eintritt, dann nur deswegen, weil der Betroffene daran glaubte und es in irgendeiner Weise herbeiführte. 
Also tritt Schlechtes aufgrund von Erwartung nur ein, wenn ein Hellseher es vorhergesagt hat ??? 

Weiters: Man dürfe sich nur selten etwas leisten, was einen freut, denn sonst würde die Fähigkeit dazu verloren gehen. Z.B. gab es Torte und andere Süßigkeiten nur zu besonderen Anlässen - Geburtstagen, Weihnachten, Ostern. Würden wir jeden Tag Kuchen haben, würde das alltäglich werden, und dann könnten wir uns nicht mehr auf diese Anlässe freuen. Aber ehrlich - ist es wirklich so wichtig, sich wochen- oder monatelang auf ein Stück Torte freuen zu können? Ist es nicht vielmehr so, dass die Tatsache, dass wir uns dies nicht öfters leisten konnten, dahingehend verdreht wurde, dass es als Optimalfall erschien? Fast konnten wir die Menschen bedauern, die jeden Tag Kuchen oder Schokolade konsumierten, denn worauf konnten die sich noch freuen? 
Auch: Man müsse eine schöne Zeit nutzen, denn sie wäre schnell vorbei. Sei es schönes Wetter, Freizeit, die oben erwähnten Anlässe oder sonstige Besonderheiten. Was für eine umwerfende "Weisheit"!  So vermittelte er mir "ganz wunderbar" immer schon an die schlechte Zeit danach zu denken - im warmen Sommer bereits an den kalten Winter, in der Freizeit an die Arbeit, etc. -, unter "Ausnutzungsdruck" zu geraten und die schöne Zeit kaum jemals genießen zu können. (Bei heißem Sommerwetter gingen wir trotzdem nicht jeden Tag schwimmen.) 
Es wundert mich, dass mein Vater Aussagen zu Freude machte, wo er doch Gefühle als gefährlich verdammte. Freude war anscheinend harmlos - zumindest so reglementiert. Ich kann mich auch nicht erinnern mal miterlebt zu haben, dass mein Vater sich spontan richtig freute. Ich habe den Verdacht, mein Vater hat sich auf diese Weise einen Rahmen geschaffen, innerhalb dem er sich bei gegebenem Anlass so was wie Freude und Genuss "einreden" konnte.
Und wie war es tatsächlich, wenn das letzte Stück Geburtstagstorte, Christbaumbehang oder Schokolade-Osterhase gegessen war? Kam Freude auf das nächste Mal auf? Bei mir ganz sicher nicht! In meiner Erinnerung ist meine Kindheit eine permanente Zeit des Mangels, der nur hin und wieder unterbrochen wurde. 

Wo bitte war seine Logik, als er Kinder in eine Welt setzte, die kaum Erfreuliches bot und voll von Gefahren war, vor denen er sie warnen und bewahren musste? Das noch dazu mit einer Frau, die von Entbehrungen und Krankheiten geschwächt war, und mit dem Wissen, dass auch er nicht kräftig war. Was war daran logisch, als ich noch ein Jahr im Kindergarten bleiben musste, nachdem ich den Schuleignungstest bestanden hatte, als beste der Getesteten?! Was daran, als ich - etwa 9 Jahre alt - im Spital in der Quarantänestation vor Langeweile fast durchdrehte und ein interessantes Buch erst danach bekam - als Belohnung? Ist es wirklich logisch, dass ein Kind, das später mal einen gut bezahlten Beruf erlernen soll, schon in der Volksschule ein "sehr gut" bei jeder Prüfung anstreben muss? Und dachte er tatsächlich, dass Nieren nur deswegen vorhanden sind, damit man das, was man blöderweise zu viel getrunken hat, auch ausscheiden kann? Denn wie sonst kann die "Logik" entstanden sein, dass Trinken weitgehend unnötig sei?!
Es ist menschlich und verständlich, wenn man durch schlimme Erlebnisse geprägt unlogische Entscheidungen trifft. Wer einmal alles verloren hat, wird nicht gerne etwas auf einer Quarantänestation lassen, das er bezahlen musste. Wer darunter leidet, dass er sich in einem schlecht bezahlten Beruf abrackert, weil die eigene Schulbildung unterbrochen wurde, wird Schule und Ausbildung wahrscheinlich übermäßig Bedeutung beimessen, wer in einem Hungerlager erlebt hat, wie nur jene Menschen überlebten, die sich wenig bewegten, wird Bewegung leicht für unnötig halten und seine Kinder zu stundenlangem Stillsitzen und Lernen nötigen. Und wer weiß, was in Bezug auf Trinken im Leben meines Vaters geschehen ist!
Aber genau diesen Einfluss von Erlebnissen und unbewussten Gefühlen leugnete er, nein, zu solch dummen Menschen, die sich von Gefühlen leiten lassen, gehörte er nicht! Er hatte ja seinen Verstand und seine Logik - was für ein Jammer, dass die nur dazu taugten, sich selbst etwas vorzumachen, schiefe und krumme "logische" Erklärungen aus dem Hut zu zaubern statt die tatsächlichen Gegebenheiten zu erkennen. 

Mittlerweile kann ich es nachvollziehen, wie man sich ohne Gefühle "fühlt".  Ich denke in gewissen Situationen, dass da ein Gefühl von Freude oder Liebe "angebracht" wäre, aber ich fühle nichts bzw. nur Trauer darüber, dass diese Gefühle nicht kommen wollen (ganz entgegen der Aussage, dass sich alle Gefühle entwickeln würden, wenn man keine unterdrückt und alle annimmt). Ich habe immerhin das Wissen über die wahrscheinliche Ursache (Mangel an Serotonin aufgrund von Nitrostress,  Mangel an Dopamin und Oxytozin aufgrund der Kindheitsproblematik), während mein Vater sich eine Art Krücke bauen musste, um sich selbst nicht als geschädigt (=minderwertig?) erkennen zu müssen. Wie es gelingt sich Gefühle auf oben beschriebene Art einzureden, ist mir allerdings völlig schleierhaft - ist wohl ein ganz besonderes Kunststück!

 

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