Erziehung Mein Vater vertrat die Ansicht, ein kleines Kind sei wie ein leeres Blatt Papier, das man erst beschreiben müsse. (Computer gab es ja in meiner Kindheit noch nicht, jedenfalls nicht für den Hausgebrauch, daher musste ein Blatt Papier für den Vergleich herhalten.) Dies ist keine Schlussfolgerung oder Vermutung meinerseits, er hat es mir tatsächlich mal so erklärt. Einfach alles müsse man einem Kind beibringen, nicht nur Allgemeinwissen, sondern auch wie es zu sein hat. Was für eine wunderbare Legitimierung dafür, den eigenen Kindern die gewünschten Eigenschaften aufzuzwingen - oder es zumindest zu versuchen ! Bei mir war es leicht, ich fürchtete schon extrem ärgerliche/vorwurfsvolle Blicke meines Vaters und tat alles um diese zu vermeiden. Aber meine Schwester rebellierte .. .. und als sie einen Charakter entwickelte, den mein Vater nicht angestrebt hatte, hatte in dem Fall natürlich nicht er einen Fehler gemacht, sondern es lag an ihr ... ERZIEHUNG - man muss sich das Wort mal so richtig ansehen und auf der Zunge zergehen lassen! Und wohin zog mich mein Vater? Er hatte ein Menschheitsideal
entwickelt, dem hatte ich zu entsprechen. Dieses zu erklären ist fast
unmöglich, weil es wandelbar war, je nach Situation. So konnte
Hilfsbereitschaft mal richtig sein und mal dumm. Menschen mit gewissen
Eigenschaften waren zu verachten, aber gleichzeitig war zu bedenken, dass sie ja
nichts dafür konnten. Psychosomatische Auswirkungen waren mal akzeptiert (sie
wurden aber nicht so bezeichnet, es hieß z.B. nur, dass jemand Magenschmerzen
habe durch zu viel Aufregung etc.), mal
hieß es, dass es so was nicht gibt. Ganz klar war hingegen die Botschaft, dass
Gefühle in meinem Leben nichts zu suchen hatten. Die waren nur gefährlich,
behinderten das klare Denken, stürzten einen ins Unglück. Ganz besonders die
Liebe. Wichtig war nur das richtige Verhalten in den gegebenen Situationen.
Schein statt Sein. Meine Mutter spielte anscheinend eine untergeordnete Rolle.
Selten äußerte sie eine Meinung, erfüllte meist als
Gehilfin des Vaters ihre Pflicht. Manchmal diente sie als Vorwand. Nach der Schule hatte
ich schnellstmöglich nach Hause zu kommen, damit meine Mutti keine Angst um
mich hatte. Trödelte ich trotzdem, gab es Vorwürfe. Wie konnte ich nur so
verantwortungslos sein! Ein weiteres Standbein meiner Erziehung waren jene Situationen, in denen mein Vater mich „an seiner Weisheit teilhaben ließ“. Ich fühlte mich ins Vertrauen gezogen, die Situation war entspannt , und so nahm ich seine Aussagen wohl besonders auf. Besonders erinnere ich mich an (von seiner Abscheu geprägte) Informationen über (Absonderlichkeiten betreffend) Sexualität, die mir auf diese Weise vermittelt wurden. Als schlimmstes gab es dann noch die direkten Ermahnungen bzw. Vorwürfe, die durchaus nicht immer ausgesprochen werden mussten. Wie eingangs erwähnt, genügte ein Blick um mir mitzuteilen, dass ich mich gerade falsch verhielt. Ich hatte früh gelernt, an diesem zu erkennen, was Sache war - und warum auch immer: er rief ein körperliches Schmerzgefühl im Herzbereich hervor, oft erstarrten auch meine Muskeln, als wäre ich eingefroren worden. Wie konnte er nur darauf stolz sein, dass er es schaffte, mich ohne Schläge zu erziehen?! Es zeigte sich, dass sich dies alles bewusst werden und beschließen es anders zu machen, anders zu denken etc. nicht ausreichte. Allmählich begriff ich, dass sich vieles in „Schichten“ eingeprägt hat, die so nicht zugänglich sind. Dazu gehört wohl auch, dass ein Kind vieles aufnimmt dadurch, wie sich die Eltern verhalten. Erziehung unbewusst sozusagen. Leicht kann es Widersprüche zum Geforderten geben, oder auch Widersprüche in sich .. .. Der Vater, der niemals klagte und äußerst ungern zum Arzt ging .. .. die Mutter, die gerne darüber sprach und geradezu aufblühte, wenn der Arzt zu ihr sagte: „Kein Wunder, dass es Ihnen so schlecht geht, bei all dem, was Sie durchgemacht haben“ .. .. wenn sie dies zu Hause erzählte, machte mein Vater ein finsteres Gesicht und brütete grimmig vor sich hin. Er mochte das gar nicht .. .. dennoch habe ich von beiden mitbekommen, dass Leistung, z.B. das Erbringen guter Schulnoten, nur dann lobenswert ist, wenn man sie unter erschwerten Bedingungen - also Krankheit - erbringt. Ist man gesund, ist es ja selbstverständlich .. .. . Aber wenn ich kränkelnd zur Prüfung ging, dann sah das etwas anders aus .. .. Das Gefühlschaos im Dezember 2008, ausgelöst durch die Information, dass mein Vater meinem Bruder schon 5 Jahre zuvor die elterliche Wohnung verkauft hatte ohne mir ein Wort zu sagen (siehe Kontaktabbruch), ließ verschleiernde und entschuldigende Gedankenkonstrukte zerbrechen. Ich hatte es vorher einfach nicht glauben, unbedingt mildernde Erklärungen für das Verhalten meines Vaters finden wollen, aber nun betrachtete ich nüchtern die folgende Essenz : Sei so, dass ich immer etwas finde, was ich besser kann oder weiß Sei klug, wenn du mit anderen sprichst, damit ich stolz auf dich sein kann, aber bei mir sage immer etwas, dem ich widersprechen kann, weil ich noch klüger bin Zeige keine Eigenschaften bzw. Fähigkeiten, die mein Weltbild gefährden und mir Angst machen Sei lieber (ehrlich) krank als gesund (durch „Einbildung“) Habe Angst vor allem möglichen, damit ich dir sagen kann, dass Angst lächerlich ist und du sie nicht haben sollst Habe Wünsche, damit ich sie dir abschlagen oder sonst wie vermiesen kann Plage dich am Klavier mit viel zu schwierigen Stücken, damit ich mit dir angeben kann und du keine Freude dabei hast Spiele Schach mit mir auf die Weise, die ich dir beigebracht habe und die dich überfordert, sodass ich immer gewinne und mich überlegen fühlen kann Mach dich für gute Schulnoten kaputt und glaube mir, dass dies deiner Zukunft dient Sei so, dass ich eine Weile stolz auf dich sein kann, aber dann lass dir einreden etwas schaffen zu müssen, was du nicht schaffen kannst und scheitere daran, sodass du nicht mehr Erfolg im Leben hast als ich ... ... ... Was war ich doch für eine brave Tochter, die ihm sogar die geheimsten, unausgesprochenen Wünsche erfüllte! Selbst als ich erwachsen und aus dem Haus war, erfüllte ich bei Besuchen noch die Aufgabe ihm zu ermöglichen etwas besser zu wissen. Sogar wenn ich recht hatte, ließ ich mich durch sein bestimmtes Auftreten verunsichern und traute meinen eigenen Erinnerungen nicht (z.B. was ich in einem Museum erfahren hatte und meinem Vater unlogisch erschien). Erfolgreich war ich natürlich auch nicht, hatte nur immer viel zu viel zu tun .. .. Und dann wagte ich es eines Tages zur Psychotherapie zu gehen und zu glauben, was ich da über Kindheitstraumata hörte, und über die Folgen derselben. Mich dann noch mehr für psychische Zusammenhänge zu interessieren, seine Ansichten in Frage zu stellen, zu erkennen wie sehr er mich noch immer belastete, mich zurückzuziehen - welch schrecklicher Tabubruch! Aber kann es sein, dass mein Eindruck stimmt, dass ihm sogar das nur recht war, weil er jetzt endlich einen Grund hatte mich gar nicht mehr sehen zu müssen? Erst im Nachhinein fühle ich das Desinteresse, das er mir „immer schon“ entgegengebracht hatte, und mir wird fast übel, wenn ich an seine Art der „Freundlichkeit“ denke, die er mir und meinem Mann gegenüber zeigte. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich in der
Kindheit auch schon von meiner Mutter gehört habe: „Es muss ja immer was sein, damit es einem nicht zu
gut geht“, heute ist das ihr Lieblingssatz, den sie bei jeder Gelegenheit von
sich gibt. Gut
in Erinnerung ist hingegen die Warnung des Vaters vor dem „bösen Erwachen“
, sollte es mir mal gut gehen (was ja nur durch Einbildung passieren kann). Wenn
es nur Worte gewesen wären .. .. , aber dazu kommt, dass Energien der Eltern auf das Kind einwirken, bevor es Worte versteht,
bevor es überhaupt geboren wird. Energien aus Erlebnissen der Eltern und solche, die
über Generationen hinweg weitergegeben wurden. Das wirkt sich zunächst auch
darauf aus, wie Kinder auf Erziehung reagieren, und dann wirken diese Energien weiter
auf einen ein, solange man bei den Eltern aufwächst, in ihrem Energiefeld lebt.
So waren es sicher nicht nur die Erlebnisse betreffend Leistung in der Schule,
die sich mir tief einprägten, sondern die ganze energetische Situation zu Hause.
Die Grundaussage lautete:
Das Leben ist schwer, hat schwer zu sein, nur dann ist es richtig. Man plagt
sich und plagt sich und plagt sich, und schließlich ist man alt und krank und
stirbt (so wurde es gelegentlich auch ausgesprochen). Stand Oktober 2017 |
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