Schule .... 2008 erzählte mir meine Mutter, dass im Kindergarten ein
Schuleignungstest gemacht worden war, an dem ich teilgenommen hatte,
obwohl für mich die Schulpflicht erst im nächsten Jahr bestand. Als
Novemberkind wäre es aber möglich gewesen, mich schon ein Jahr früher in die
Schule gehen zu lassen. Alle wären nach ihrer Aussage überrascht gewesen, dass
ich am besten dabei abgeschnitten hätte. Trotzdem wurde ich noch nicht zur
Schule geschickt. "Warum nicht?" fragte ich sie. Als Antwort bekam ich
nur "Warum hätten wir sollen?" ! Meine Erinnerung an die erste Volksschulklasse besteht in erster Linie aus schrecklicher Langeweile! Das letzte Jahr im Kindergarten hatte mein Vater dazu genutzt mir schreiben beizubringen. Lesen konnte ich vermutlich schon früher, und ich las nicht nur Blockbuchstaben oder die übliche Druckschrift, sondern auch die alte Schrift in den Tierbüchern von Brehm aus dem Jahre 1927. Vom Schreibenlernen habe ich in Erinnerung, dass mein Vater sich öfters dahingehend geäußert hatte, dass er eine viel bessere Methode kannte als in der Schule unterrichtet wurde. So lernte ich auf Zeitungspapier große Buchstaben zu malen, später immer kleinere, und ich hätte locker was schreiben können, als ich in der Klasse saß, aber ich musste wie die anderen reihenweise Striche in ein Heft malen. Und das bitte perfekt! Ich kann mich nicht erinnern, ob es ein deutlich ausgesprochenes Verbot gab zu verraten, dass ich schon schreiben konnte, oder ob dieses nur sozusagen in der Luft lag, jedenfalls habe ich mich daran gehalten. Der Lehrerin bin ich sicher wie ein Wunderkind vorgekommen, das so schnell so schön schreiben lernte. Vermutlich hat sie sich auch entsprechend lobend über mich geäußert, wenn meine Eltern zum Sprechtag gingen. Ich finde, dass sie auffallend gerne zu diesen Sprechtagen gingen. An meinem ersten Schultag begleitete
mich meine Mutter. Kinder und Eltern versammelten sich im Hof der Volksschule,
Namen wurden aufgerufen, die Schüler den Klassen zugeteilt. Die Kinder in
Zweierreihen aufgestellt und ab ins Klassenzimmer, damit wir am nächsten Tag
wissen, wo wir hingehören. Ab dem nächsten Tag ging ich alleine. Mit der 2. Klasse wurde Schule für mich
"normal", d.h. es gab Unterricht, in dem ich was lernte. Noch war es
leicht, und ich blieb weiterhin eine überaus gute
Schülerin, gelegentlich stahl sich der eine oder andere Zweier in mein Zeugnis.
Vor allem in Turnen. Genaugenommen war ich im Turnen eine Niete und bekam die
Note nur, weil ich mich so brav bemühte. Ganz besonders das Seilklettern war
absolut blamabel. Es fehlte mir die Kraft um mich an einem Seil festzuhalten,
und trotzdem wurde von der Lehrerin immer wieder gefordert, dass ich es
versuchen sollte. Und auch alle Übungen, die ein normal funktionierendes
Hüftgelenk verlangten, waren eine dauernde Quelle von Schimpf und Schande. Ich
solle mich mehr bemühen, mich nicht so anstellen, hieß es. Dass meine
Hüftgelenke geschädigt waren, wusste ich nicht, und es kam auch niemand auf
die Idee, das mal untersuchen zu lassen, obwohl meine Eltern ja sehr wohl
wussten, dass da mal "was" war. Aber da dieses "was" keine
Bewegungseinschränkung sondern vielmehr bei einem Gelenk eine zu große Beweglichkeit gewesen
war, und weil das ja "erfolgreich" repariert worden war, hieß es
einfach, meine Gelenke seien in Ordnung, und ich musste zu Hause
gymnastische Übungen machen um die Beweglichkeit zu verbessern. Langweilige
Übungen ohne jeden Erfolg. Auch der
Turnunterricht wurde ein Thema in meinen Träumen. Er verfolgte mich noch lange
Zeit nach Beendigung der Schule. Als die Frage nach meinem zukünfigen Beruf auftauchte, äußerte ich den Wunsch Tierpfleger im Tiergarten Schönbrunn zu werden, was heftige Empörung bei meinen Eltern hervorrief. Ihre intelligente Tochter sollte doch nicht ihr Leben damit verbringen, den Mist von Tieren aufzuräumen! Am liebsten wäre ihnen überhaupt ein Studium mit Doktortitel als Abschluss gewesen, ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wann diese Vorstellung erstmals ausgesprochen wurde. Zunächst ließ sie sich ja schlecht damit vereinbaren, dass ich angeblich aus Geldmangel (weil "alles" für ein Klavier ausgegeben) auf die Hauptschule geschickt worden war. Also entschied ich mich erst mal für Lehrer, das war etwas, was ich kannte, wenn auch nur aus Sicht der Schüler. Mit einem Bürojob wollte ich nichts zu tun haben, denn ich kannte nur Sekretärinnen aus Filmen, wo sie sich die Fingernägel lackierten und den Chef an den Geburtstag seiner Frau erinnerten bzw. die Blumen besorgten, oder aber sogar seine Geliebte waren und auf seinem Schoß saßen. Wir hatten niemanden in unserer Bekanntschaft, der diese meine Sicht revidieren hätte können, ausgenommen eine Tante, die meine Eltern aber nicht mochten und die daher nichts zu sagen hatte. Meine Eltern hatten offenbar auch kein Interesse an einer Richtigstellung, oder wussten sie es tatsächlich nicht besser? Jedenfalls: Somit fiel die Wahl der weiterführenden Schule auf ein Oberstufengymnasium mit besonderer Betonung auf Kunst und Musik und mit ein bisschen Lateinunterricht, das sich als Vorbildung für die Lehrerausbildung oder auch ein Studium eignete. Inzwischen gab es ja auch die Schulbuchaktion, meine Eltern mussten also kein Geld für Bücher ausgeben. Was folgte, waren 4 Jahre Dauerstress. Diese Schule war natürlich viel schwieriger als die Hauptschule, und die meisten meiner Mitschülerinnen waren aus dem Gymnasium gekommen. Mit geradezu unmenschlicher Anstrengung schaffte ich es, die zweitbeste der Klasse zu werden und den Anschein zu verbreiten, eine gute Schülerin zu sein (im Sinne von intelligent und lernfähig), obwohl mein Gedächtnis immer mehr nachließ. Es gelang mir, diesen Anschein die ganze Zeit aufrechtzuerhalten, jedoch litt ich permanent an der Angst "aufzufliegen". Jede Prüfung bedeutete extreme Gefahr, und noch mehr fürchtete ich mal zwischendurch unvorbereitet was gefragt zu werden, denn meine Kraft reichte nur für die angesagten Prüfungen. Meine guten Noten bewahrten mich aber weitgehend davor, und so fiel nicht auf, dass ich die neusten Vokabeln nicht konnte oder im Deutschunterricht keine Ahnung von Literatur hatte, sondern immer nur das Alternativthema bei den Schularbeiten wählte, wobei ich, nachdem ich die Ansichten der Professorin erkannt hatte, die Aufsätze diesen anpasste. Dabei lernte ich meist bis spät abends, und gelegentlich mussten mich meine Eltern aufwecken und ins Bett schicken, weil ich über den Büchern eingeschlafen war. Die Lage spitzte sich zu, als die Matura näherrückte. Ich hatte panische Angst, dass im Mathematikunterricht der Stoff der vorherigen drei Jahre nicht ausreichend wiederholt würde, denn den hatte ich längst vergessen. Diese Angst schlug sich auch in Träumen nieder, die mich noch viele Jahre nach der Matura verfolgten. Eine Woche vor der schriftlichen Matura wurde ich krank, hatte hohes Fieber, und ich hatte noch immer erhöhte Temperatur, als ich zu den Prüfungen antrat. Irgendwie habe ich sie trotzdem ganz gut geschafft. Danach war ich so fertig, dass ich meinen Eltern erklärte, ich würde auf die mündliche Matura pfeifen, und ich folgte einer Einladung zu einem Ausflug auf den Neusiedlersee, was helle Aufregung bei ihnen hervorrief. Natürlich ließ ich mich danach aber rasch wieder überzeugen, dass ich so knapp vor dem Ziel doch nicht aufgeben könne. So setzte ich mich an meine Bücher und lernte, nicht nur bis der Kopf brummte, sondern weit darüber hinaus. Allerdings nur für die Fächer Chemie und Naturkunde, das war mehr als genug für mich. Ich wundere mich noch heute, wie ich es schaffte, den ganzen notwendigen Stoff in meinem Kopf "unterzubringen" und bis zur Prüfung dort zu behalten. Beim dritten Fach - Musik - hoffte ich darauf, dass ich mit einem Trick durchkam. Ich hatte ein Referat gehalten, und der Professor hatte mir versprochen, dass eine der Fragen sich auf dieses beziehen würde. Die zweite "Frage" würde das Vorspielen eines Musikstückes sein, und die dritte war hinfällig, da nur zwei der drei Fragen beantwortet werden müssen. Es hat tatsächlich funktioniert! Mittlerweile hatte ich allerding den Berufswunsch Lehrer aufgegeben. Ich hatte gesehen, dass Unterrichten gar nicht so leicht ist, und mein schlechtes Gedächtnis war nicht gerade eine günstige Voraussetzung. Außerdem hatten sich Rückenprobleme entwickelt, ich konnte nicht länger als zwei Stunden stehen. Immer noch interessierten mich Tiere, das einzige Studium, das ich mir vorstellten konnte, war Zoologie, doch meine Eltern meinten, damit hätte ich keine guten Berufsaussichten, ich solle das lieber vergessen. Bevor weitere Überlegungen diesbezüglich stattfanden, kamen sie aber drauf, dass sie noch ein drittes Kind hatten, das in ihrer Kostenrechnung bislang angeblich nicht berücksichtigt war (da war mein Bruder aber schon 10 Jahre alt), und dass sie mich nicht so lange durchfüttern konnten. Ich sollte nun also lieber was machen, was schnell geht. So geriet ich an ein sogenanntes
Kurzstudium für den Beruf der medizinisch-technischen Assistentin. Die einzige
Freundin meiner Eltern, die gelegentlich zu Besuch kam, übte diesen Beruf aus und schwärmte
uns davon vor. Nur: dieses Studium ist noch um einiges schwieriger als die
Oberstufe. (Mal abgesehen davon, dass mir beim Anblick von Blut und diverser
Ausscheidungsprodukte schlecht wird, und dieser Beruf daher ganz und gar nicht
der richtige für mich sein konnte.) Meine Eltern waren aber der Ansicht, nachdem ich die Matura doch
recht gut geschafft habe, sollte dies kein Problem sein, und die Leute, die von
der Schwierigkeit berichteten, würden sicher übertreiben. So kamen noch
10 Monate Albtraum dazu, in denen ich die Schule um 8 Uhr in der Früh weinend betrat und
um 16 Uhr völlig geschafft verließ, worauf dann noch Lernen bis tief in die Nacht
angesagt war. Es war nicht zu schaffen, ich wusste es, aber ich konnte trotz
einiger Nervenzusammenbrüche nicht eher aufgeben, bis es - am Ende des
Schuljahres - wirklich aussichtslos war. Ich hatte bereits zwei Nicht-genügend,
und von den vier noch anstehenden Prüfungen (innerhalb von vier Tagen!) hatte
ich nur für zwei lernen können. Da trat ich zu keiner mehr an. Als ich meinen Eltern meine Niederlage
gestand, erwartete ich Schreckliches, aber sie zuckten nur die Achseln, als
hätten sie nichts anderes erwartet. |
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