die Leistungsanforderung meines Vaters 

Nein, er verlangte keineswegs, dass ich immer ein "Sehr gut" bekomme. Dass es manchmal nicht möglich ist, das wusste er. Aber ich hatte immer so viel zu leisten, wie ich nur konnte. 

Viele seiner Instruktionen begannen mit "man muss".  In dem Fall hieß es: Man muss immer den ganzen Stoff können oder zumindest so viel wie nur irgend möglich. Nur dann hat man gute Chancen, nichts gefragt zu werden, was man nicht weiß. So viel wie nur irgend möglich hieß leider, besonders in den späteren Schuljahren, lernen "bis zum Umfallen". Wollte ich nebenher etwas tun, was mir wichtig war, so hieß es, dass mein Lernerfolg darunter nicht leiden dürfe. Ließ meine Leistung nach, so war es keine Bestrafung, dass mir Freizeit samt -beschäftigung verboten wurde, sondern diente nur meiner Zukunft. Irgendwie war es meinem Vater auch gelungen, dies so in mir zu verankern, dass ich mich schließlich selbst für ehrgeizig hielt und die schreckliche Angst vor Prüfungen für normal. 

Durch die Kriegsereignisse wurde die Schulzeit meiner Eltern und ihre Ausbildungschancen stark beeinträchtigt. Eine ununterbrochene tolle Schulkarriere war - so stellten sie es für mich dar - der Garant für einen gut bezahlten Beruf in der Zukunft. Sagte ich was darüber, dass andere Kinder nicht so viel leisten mussten, hieß es, die würden es auch zu nichts bringen. Sogar die Mandeloperation im Alter von 6 Jahren begründeten sie damit, dass sie sich Sorgen gemacht hatten, ich würde durch Angina zu oft in der Schule fehlen und was Wichtiges versäumen. Sicher haben sie auch Gefallen daran gefunden, dass sie für eine so gescheite und fleißige Tochter gelobt und beneidet wurden. Wie auch immer, ich wusste, was von mir erwartet wurde, und aus mir mittlerweile (durch diverse psychologische Literatur) verständlichen Gründen war es für mich überlebensnotwendig, diese Erwartungen zu erfüllen. Vielleicht spielte auch mit, dass ich selbst glaubte, dass meine Zukunft nur durch gute Schulerfolge gesichert würde. Aber selbst zuletzt, als ich in einer Ausbildung war, wo ich sehr schnell merkte, dass sie meine Fähigkeiten überstieg, konnte ich nicht nur so tun als würde ich mich bemühen, geschweige denn sie abbrechen.

Frühere Mitschülerinnen aus der Oberstufe erzählen mir heute noch, was für eine gute Schülerin ich gewesen sei, und dass sie mich beneidet hätten. Mit meiner Schilderung, wie es für mich wirklich war, stoße ich auf Unglauben. Offenbar war es mir perfekt gelungen alle zu täuschen. Die Angst vor Prüfungen wurde aber noch dadurch vermehrt, dass ich mir ein Versagen schließlich nicht leisten konnte, weil dann klar geworden wäre, dass ich keineswegs ein Genie war. Einmal entging ich nur knapp dem Auffliegen, als meine Deutschprofessorin den Vorschlag machte, ich solle mich "von 2 auf 1" prüfen lassen, da ich zwischen diesen beiden Noten stand. Ich hatte bis dahin geschickt vermieden, Literatur lernen zu müssen, und hätte für diese Prüfung innerhalb weniger Tage den gesamten Stoff des Jahres diesbezüglich nachholen müssen. Logischerweise lehnte ich also ab. Auch der einmal gemachte Vorschlag, ich solle Klassensprecherin werden, versetzte mich in Schrecken. Der damit verbundene Zeitaufwand, obwohl nicht groß, hätte mich ins Schleudern bringen können bzw. wäre vielleicht bekannt geworden, dass ich keine Freizeit übrig hatte, da alles fürs Lernen draufging. Damit wäre mein Nimbus, der mich üblicherweise vor den Fragen zum Stoff des Vortages bewahrte, dahin gewesen.

Es war damals, als ich schon ernsthafte Probleme mit dem Lernen hatte und den Stoff, den ich an einem Abend mühsam für eine Prüfung in meinen Kopf gestopft hatte, zwei Tage später schon nicht mehr wusste. Das Lernen für Nebenfächer kostete mich unnötig viel Zeit und Energie, die mir bei der Bewältigung der Hauptfächer fehlten, wo man Gelerntes behalten muss, um darauf aufzubauen. In meiner Verzweiflung versuchte ich meinen Vater auf mein Problem aufmerksam zu machen, mit dem äußersten, was mir möglich war: mit der Frage, wozu es gut sein soll, so viel unnötigen Stoff zu lernen. Es war ja auch für ihn ersichtlich, dass keineswegs alles zielführend ist, was man so im Lauf der Schulzeit  zu lernen hat. Z.B. wurde Geschichte in der Oberstufe im Verlauf von 4 Jahren zwei Mal gelehrt, d.h. von der Frühzeit bis zur Gegenwart innerhalb von zwei Jahren, und dann das ganze noch mal.  Mein Vater sagte darauf, ich solle es einfach als Gedächtnistraining betrachten. Training???!  Wo blieb hier die scharfe Beobachtungsgabe meines Vaters, mit der er die Fehlerhaftigkeit anderer entdeckte, wo seine Logik, auf die er sich so viel einbildete? Ist es nicht Ziel einer Trainings, dass etwas leichter und/oder schneller geht? Es konnte ihm doch nicht entgangen sein, dass dies bei mir keineswegs der Fall war! 

Von Erholungspausen hielt mein Vater im übrigen auch nichts. Während der Schulzeit bestanden meine Erholungszeiten oft nur aus dem Schulweg, den Mahlzeiten, gelegentlichen unangenehmen Gymnastikübungen und dem Schlaf. Als ich die Oberstufe besuchte, gab es zwei Möglichkeiten in die Schule zu kommen. Die eine war etwas kürzer, bedeutete volle Verkehrsmittel und Umsteigen. Die längere ließ sich mit einer Straßenbahnlinie bewältigen, in die ich bei einer Endstation einstieg und bis zur anderen durchfuhr. Diesen Weg sollte ich nehmen, einen ungestörten Platz wählen und auch während der Fahrt lernen, um die Zeit zu nützen. Ich war gerne eine Stunde lang unterwegs um in die Schule und wieder zurück zu kommen, gelernt habe ich dabei aber nicht, außer hin und wieder in der Früh, wenn ich den Stoff für eine Prüfung noch mal durchgehen musste. In den Ferien befürchtete mein Vater, mein Gehirn könnte "einrosten", und so musste ich immer wieder langweilige Rechenaufgaben lösen, und ich weiß nicht mehr was sonst noch. Die tägliche Stunde Klavierüben durfte schon gar nicht unterbrochen werden. Dafür bekam mein Vater nach den Ferien Lob von der Klavierlehrerin. 

Im übrigen hat mir mein Vater öfters erklärt, dass ich über besonderes Talent für Sprachen und Mathematik verfüge. Es war klar, dass er entsprechende Leistungen von mir erwartete. Öfters lese ich in mehr oder weniger psychologisch angehauchten Artikeln darüber, welche Folgen es hat, wenn einem Kind immer wieder gesagt wird, dass es dumm sei und es zu nichts bringen würde. Niemals jedoch wird dargestellt, was mit jemandem passiert, dem eine Leistungsfähigkeit eingeredet wird, die er nicht hat und niemals schaffen kann. Ich finde, dass dies viel komplizierter ist. Zudem ist durch Forschungen belegt, dass Stress (Angst) das Gehirn schädigt, und hier vor allem jenen Teil, der für das Gedächtnis zuständig ist. 

 

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