gewaltlos? Ein Vater erwartete eines Nachts seinen Sohn, der schließlich von einer Party heimkam und ganz offenbar geraucht und Alkohol konsumiert hatte. Statt nun mit ihm deswegen zu schimpfen, lud der Vater seinen Sohn auf ein Gespräch "unter Erwachsenen" ein, gab ihm eine Zigarre zu rauchen und schenkte ihm auch ein Glas Hochprozentiges ein. Solange "lud" er ihn zum Rauchen und Trinken "ein", bis dem Sohn speiübel war. Danach hat der Sohn nie wieder Zigaretten und Alkohol angerührt. Diese "Geschichte" erzählte mir mein Vater mal, als ich schon fast erwachsen war, mit dem Hinweis, dass dies eine gewaltlose Erziehung wäre, die seine Zustimmung fand. Warum tat er das? Ich glaube, dass ihn diese Geschichte faszinierte und er einen Zuhörer brauchte, der ihm nicht widersprach. Heute würde ich im klipp und klar sagen, dass ich so was ganz und gar nicht als gewaltlos, und außerdem noch als fies und hinterhältig empfinde, aber damals war da nur ein dumpfes Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt, und Ratlosigkeit. Wie kommt es dazu, dass ein Vater derart Macht über seinen Sohn hat, dass er diesen scheinbar ganz gewaltlos zu etwas nötigen kann, was dieser wohl kaum will (es sei denn, der Vater legt ihn psychologisch derart herein, dass der Sohn sich durch dessen Aufmerksamkeit geehrt fühlt - was auch nicht gerade positiv ist)? Es muss also eine Vorgeschichte geben, die dem Vater ermöglicht scheinbar gewaltlos Macht über seinen Sohn zu haben. Meine Vorgeschichte ist mir mit der Zeit klar geworden, vor allem durch diverse Bücher. Bis zu meinem Auszug aus dem Elternhaus habe ich Speisen hinuntergewürgt, die mir Ekel oder gar Übelkeit verursachten, und letztere habe ich auch noch so gut wie möglich verborgen, da ich sonst auch noch Magenbitter schlucken musste. Es waren Röstkartoffel und "Grenadiermarsch" mit den gerösteten Zwiebeln, deren Geruch heute noch genügt um mir Übelkeit zu verursachen. Gefüllte Paprika, die stundenlanges Aufstoßen mit Paprikageschmack zur Folge hatten. Zwetschken- und Marillenknödel, gelegentlich Obstkuchen, Marmelade und Kompott, die ich nur mit äußerster Willensanstrengung hinunterwürgen konnte. Mit rohem Obst kam ich etwas besser zurecht, vor allem mit Äpfeln, aber eben nur, wenn sie völlig unbehandelt waren. Das schlimmste Erlebnis bescherten mir aber Mispeln. Mein Vater war ganz stolz, als er welche heimbrachte. Eine so seltene Delikatesse! Wundert mich gar nicht, dass es so selten ist, denn dieses Obst kann man nur essen, wenn es durch Frost eigentlich verdorben ist, nur mehr Matsch in einer Haut. Es dürfte nicht viele Menschen geben, die das freiwillig essen und auch noch als Delikatesse betrachten. Jeder von uns aß bzw. musste eine Mispel essen, und dann blieb noch was für den nächsten Tag übrig. Am nächsten Tag war aber nichts mehr da! Ich hatte sie in der Nacht über das Klo entsorgt. Seltsamerweise fragte niemand danach, und es gab auch nie wieder welche .... "Sei nicht so zimperlich" sagten meine Eltern, als ich klein war,
und eventuell noch "wir wären froh gewesen, hätten wir etwas so Gutes zu
essen gehabt in unserer Kindheit". Es war nicht nur die Aussicht gar nichts
zu essen zu bekommen, die mich dazu brachte, meinen Magen mit Unbekömmlichem
ein wenig zu füllen. Viel schlimmer war die Missbilligung meiner Eltern, wenn
ich nicht so war wie sie mich haben wollten. Eines Tages hatte ich folgendes
Bild vor Augen: Ich lebte gefühlsmäßig wie in einem Kühlschrank, jede Zuwendung war das Öffnen
der Türe, sodass ein bisschen Wärme hereinkam, jede Missbilligung hingegen
steckte mich ins Tiefkühlfach. Ich kann es mir heute kaum noch vorstellen, aber es gab wohl einmal eine Zeit, als ich meinem Vater freudig entgegenlief und ihn begrüßte, wenn er von der Werkstatt heimkam. Eines Tages war ich in etwas sehr vertieft und bemerkte ihn nicht. Als ich aus dem Kinderzimmer (ja, es gab ein Kinderzimmer - für drei Kinder gemeinsem) zum Abendessen gerufen wurde, saß er schon am Tisch. Aus irgendeinem Grund war es mir nicht möglich ihn zu begrüßen, vielleicht ging das nur im Vorzimmer, oder es kam mir gar nicht in den Sinn. Jedenfalls habe ich ihn ohne Begrüßung angesprochen, worauf er sagte, er sei für mich nicht da, da ich ihn nicht begrüßt hatte, ich müsse das erst nachholen. Ich wusste einfach nicht, wie ich das machen sollte, denn auch so tun als ob war verboten .. .. und schwieg. Der Abend verging, ohne dass mein Vater mit mir sprach oder mich sonst wie beachtete, auch der nächste Morgen. Erst als er am Abend wiederkam, konnte ich ihn wie gewohnt begrüßen. Mit freudig war es aber vorbei, ich spitzte nur mehr aus Angst meine Ohren, um ihn ja nicht zu verpassen. Offenbar war es auch ganz leicht mich dazu zu bringen, mich selbst zu überfordern und somit zu schädigen, nur um den Ansprüchen meines Vaters gerecht zu werden. Das sieht dann ganz danach aus, als wäre das Kind eben einfach ehrgeizig, strebsam und fleißig, keine Gewalt weit und breit! Aber ohne Angst hätte ich mich bestimmt nicht schluchzend durch schwierige Hausaufgaben gekämpft und gelernt, bis ich erschöpft über den Büchern einschlief. Eines Tages bemerkte ich ganz verwundert, dass ich großteils so war, wie mein Vater es wünschte. Dabei kam ich aber nicht auf die Idee, dass es seine Erziehung war, die mich so gemacht hatte, vielmehr hielt ich es für einen seltsamen Zufall. Was für ein Erziehungserfolg, wenn der/die Betroffene Aufgezwungenes für Eigenes hält! Mein Gespräch mit meiner Mutter über ihre Schwangerschaft zeigte mir den möglichen vorgeburtlichen Einfluss auf. Sie sprach davon, als sei eine Schwangerschaft etwas völlig Nebensächliches, was man als Frau halt so hat. In so einer Frau wuchs ich also heran, desinteressiert, Ängste unterdrückend, von Liebe keine Spur. Ich war doch ein Wunschkind! Lange hatte ich den Verdacht, es wäre nur mein Vater gewesen, der - aus welchen Gründen auch immer - Kinder haben wollte, und meine Mutter hätte es über sich ergehen lassen, so wie vieles andere auch. Aber eines Tages erwähnte sie, dass sie sich Kinder gewünscht hatte. Hm, aber weswegen und wozu? Sie bekam gleich nach meiner Geburt eine Entzündung an der einen Brust, und die andere Brustwarze biss ich ihr angeblich fast ab. Auch das erzählte sie so beiläufig, ohne jedes Gefühl. Wie kann ich mich da als Kind gefühlt haben? Manchmal überkommt mich eine Ahnung von unendlicher Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Eine Erinnerung an damals?
Um wieder zur Geschichte am Anfang dieser Seite zurückzukommen ... Ich habe
ähnliches erlebt, doch nicht um mir etwas abzugewöhnen - oder doch? |
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