Gefühle  

Gefühle sind schlecht. So erfuhr ich es in meiner Kindheit von meinem Vater. Sie verhindern klares Denken, führen zu unlogischem und unvernünftigem Verhalten. Ganz besonders gefährlich sind Liebe und Zorn. So  mancher hat durch Liebe, welche blind und blöd macht, sein Leben ruiniert, oder auch durch eine Handlung im Zorn, welcher sowieso eine verachtenswerte Unbeherrschtheit ist. Beispiele für die Wahrheit vor allem der ersten Aussage fanden sich genug in Literatur und Film. Niemals erwähnte mein Vater ein eigenes diesbezügliches Erlebnis, er war ja auch derjenige, dem so was nicht passiert!
Auch körperliche Gefühle wie Müdigkeit und Schmerz waren nicht wirklich wichtig, sich wohlfühlen schon gar nicht. Der Körper war nur ein Werkzeug um das zu ermöglichen, was man laut meinem Vater im Leben tun soll. Ihn zu bewegen und gesund zu halten erfüllte nur diesen Zweck, solange er leisten konnte, sollte er das auch tun, gelegentlich war ihm eine Art Belohnung gegönnt. 

Schon lange, bevor ich solche Erklärungen verstehen konnte, hatte ich gelernt, viele Gefühle zu unterdrücken oder zumindest nicht zu zeigen, da ihr Ausdruck Missbilligung bei meinen Eltern hervorrief. Erlaubt war im Leben des "richtigen Menschen" nur ein bisschen Freude und Stolz (auf Leistungen). Das waren Gefühle, die sich mein Vater auch gestattete, natürlich nur innerhalb bestimmter Regeln. Ich lernte stolz darauf zu sein, "besser" als andere zu sein. Dazu gehörte eben auch, sich nicht von Gefühlen zu "Dummheiten" verleiten zu lassen.

Dabei wurde ich im Grunde mit Hilfe von Angst erzogen, denn ich fürchtete mich extrem vor der Ablehnung meines Vaters, seinen vorwurfsvoll-verächtlichen Blicken und ganz besonders verbalen Vorwürfen. Das passte natürlich nicht ins Bild des "guten Vaters", der mich durch sein Beispiel und seine Weisheit anleitete. Diese Angst durfte ich natürlich nicht wahrhaben, und auch sonst war Angst ein Gefühl, das höchst unerwünscht war. Vorsichtig sein, das ja, das war ja auch oft angebracht. Oder für Prüfungen viel lernen um alles zu können - nicht aus Angst vor einer schlechten Note oder dem Lehrer, sondern weil es wichtig war gute Noten zu haben. 
Manchmal sagten meine Eltern, ich sei ja sooo ein ängstliches Kind gewesen, als ich klein war, und ich weiß nicht recht, was da mitschwang. Selbstmitleid, weil sie so arme Menschen waren, die sich genierten für ihr Kind, das zu viel Angst hatte, oder Stolz darauf, dass es ihnen gelungen war, mir diese Ängste abzuerziehen? Aber in Wahrheit hatte ich sie nur versteckt. In meiner Erinnerung besteht meine Kindheit großteils aus Angst. Vor meinem Vater hatte ich nur noch mehr Angst als vor manch anderem, deswegen mochte ich vielleicht manchmal mutiger erschienen sein als ich war.

Beim Verdrängen fast aller anderen Gefühle war ich "erfolgreicher". Enttäuschungen und Trauer,  Müdigkeit und Durst konnte ich nur im Extremfall wahrnehmen, Wut kam überhaupt nicht vor. Ich spürte - jedenfalls erinnere ich mich so - kaum die Trostlosigkeit, die mich umgab, den Mangel an freundlicher Aufmerksamkeit, den Druck durch Leistungsanforderung und Kontrolle. Wie sollte ich auch, es war ja Normalität in unserer Familie. 
Die Freude brauchte ich nicht zu dämpfen um das erlaubte Maß nicht zu überschreiten -  zu oft war ich wohl enttäuscht worden, zu präsent waren Gedanken an danach - die Rückkehr in den Alltagstrott, vielleicht sogar noch mehr Forderung nach Leistung.
Gegen Sympathie oder gar Liebe gab es, als ich alt genug war um es zu verstehen, ein "Rezept": Bei jedem Menschen sofort Ausschau halten nach negativen Eigenschaften. Das taten wir ja sowieso ....

Seinen eigenen Zustand erhob mein Vater zum Ideal, das er mir aufzwang. Er konnte andere Menschen nicht verstehen, ihre Gefühle und Handlungen nicht nachvollziehen, erklärte sie einfach für dumm und schwach. Arbeit, Wissen (hauptsächlich aus Büchern) und logisches Denken wurden zum Lebensinhalt, seinem eigenen und so weit es ging dem seiner Familie. Daneben gab es noch Musik, immer mehr ging es hin zu Klassik und speziell zu Opern, die er aber nicht still für sich genoss, stattdessen musste er mir immer wieder erzählen, wer besonders schlecht sang oder welche Inszinierung ein Graus war. 

Krankheit und starker Schmerz passten zwar nicht zum Menschheitsideal meines Vaters, aber darauf  wurde bis zu einem gewissen Grad Rücksicht genommen, vielleicht weil es zwar als Mangel, trotzdem aber als unvermeidlich und unverschuldet angesehen wurde. Kein vernichtender Blick traf mich, wenn ich Kopfschmerzen hatte - womöglich von zu vielem Lernen - oder winterliche Kälte Husten, Schnupfen oder gar Fieber ausgelöst hatte. Wenn es so richtig schlimm war, ich eine Migräne oder Fieber hatte, durfte ich mich ins Bett verkriechen, und manchmal gab es sogar ein Stück Schokolade. 
Meine Mutter durfte die Leidende sein, weil die durch den Krieg verursachten Umstände schuld waren, und sie entwickelte einen speziellen Stolz, darüber, dass sie ihre schlimme Kindheit überlebt hat, und darüber, dass sie trotz ihrer Leiden ihre Pflicht erfüllte. Selbst mit einer schweren Migräne oder einem Trigeminus-Neuralgie-Anfall gönnte sie sich - nach Einnahme eines Medikaments - nur eine halbe Stunde Ruhe und quälte sich dann wieder weiter, denn das Ideal sah auch vor, dass "man" trotz Krankheit und Schwäche sein Bestes zu leisten hat, wenn dies nur irgendwie möglich ist. 
Ich lernte, dass das "richtige" Leben Pflichterfüllung und Quälerei ist. Sich entspannen, mal nichts tun ohne Krankheit, das gab es nur, wenn man es sich vorher verdient hatte. 

Meine Mutter hat sich ihrem Mann untergeordnet und nichts eigenes von sich gegeben, sodass sie für mich kaum als eigene Person wahrnehmbar wurde. Als ich sie mal - der Vater war schon gestorben - danach fragte, ob sie sich freuen könne, antwortete sie, dass sie halt tue, was sie meint tun zu müssen, was angeblich gut sei für sie .. .. aber sich freuen? Nein, eigentlich nicht. Und früher, da sei immer so viel Arbeit gewesen, und wenn mal nicht, dann hätte sie nicht gewusst, was sie mit der freien Zeit anfangen solle. Es fiel mir dann ein, wie sie (und auch ihre Mutter) auf meine begeisterte Beschäftigung mit der Aquaristik reagiert hatte, in meinen Zwanziger-Jahren: Warum ich mir denn so viel Arbeit damit antue. Dass ich damals Freude an Zuchterfolgen hatte, war für sie offenbar nicht nachvollziehbar.

Ein Psychotherapeut hatte mir vermittelt, dass meine Eltern sich derart vor Gefühlen fürchteten, dass sie sich weigerten sich ihnen zu stellen. Aber so einfach ist das nicht, wie ich selbst bald merken musste. Die vorhandenen Gefühle zuzulassen sollte im Lauf der Zeit dazu führen, dass die ganze Bandbreite an möglichen Gefühlen wieder "auferstehen" würde, wurde mir gesagt. Dazu sollten auch die diversen psychotherapeutischen Maßnahmen helfen. Doch ich erlebte, wie die bescheidene Fähigkeit Freude und Glück zu empfinden weiter abnahm und schließlich ganz versiegte .. .. .. 

Das Buch "Prinzip Menschlichkeit" von Joachim Bauer lieferte einige Antworten auf die dadurch entstehenden Fragen.  Darin heißt es, dass wir Motivationssysteme haben, die durch  Zuwendung und die gelingende Beziehung zu anderen Dopamin, Opioide und Oxytozin freisetzen, wenn diese Systeme von Anfang unseres Lebens an die Möglichkeit haben sich einzuspielen. Denn :"Fehlende Zuwendung in der Frühphase des Lebens beeinflusst nicht nur die spätere Fähigkeit soziale Verbundenheit zu erleben, sondern hinterlässt bei den Motivationssystemen auch biologische Spuren". Für mich ist es nun so, dass mir der Kontakt mit anderen Menschen nicht das gibt, was ich brauche, und außerdem oft schlichtweg zu anstrengend ist. 
Dazu kommt: "Die von den Motivationssystemen ausgeschütteten Botenstoffe belohnen uns nicht nur mit subjektivem Wohlbefinden, sondern auch mit körperlicher und mentaler Gesundheit. Dopamin sorgt für Konzentration und mentale Energie .. .. " .. .. Oxytozin und die endogenen Opiode reduzieren Stress und Angst. Als ob ich mit meiner schlechten genetischen Ausstattung nicht schon genug Probleme (gehabt) hätte!
Und: "Personen, bei denen frühe Erfahrungen von fehlender Zuwendung und Bindung eine erhöhte Angst- und Stressbereitschaft erzeugt haben, geraten im Laufe ihres Lebens leichter in Überforderungsstress als andere". Ja, das habe ich wohl gemerkt.
Hören und ev. Mitsingen von schöner Musik soll auch zu Dopamin- und ev. Oxytozin-Ausschüttung führen, und wohl auch Vorstellungskraft, doch scheint mir das ein schwacher Ersatz zu sein, dem wohl das Fundament fehlt. 

Inzwischen ist mir klar, dass medizinische Forschung nur eine eingegrenzte Betrachtungsweise ermöglicht. Eingegrenzt auf den physischen Körper, aber wir haben noch einige "Körper" mehr, die vom derzeitigen "normalen" Menschen (ändert sich ja vielleicht) nicht gesehen werden (siehe Literatur, Barbara Ann Brennan). Beschädigungen derselben können nach meiner Erfahrung auch nicht oder kaum von Psychologen behoben werden. Auch diverse hellsichtige Menschen bzw. Heiler sehen diese Körper / Auraschichten oft nur eingeschränkt, und es ist schwierig jemanden zu finden, der hier etwas Gutes bewirken kann. Und auch dann ist es ein langer Weg - zu diesem gehörte auch eine Familienaufstellung, die den damaligen Zustand meines Vaters (vor allem als ich ein Kind war) deutlich zeigte. Ich verstand, dass er keine Chance hatte anders zu sein. Es war nicht Feigheit, dass er jegliches Gefühl abwehren musste, Gefühle bei anderen so weit wie möglich unterbinden bzw. Kontakte vermeiden. Gefühle bedeuteten höchste Gefahr für ihn, ein Riss im Damm, der zum Dammbruch führen würde, zum Verlust der Kontrolle über sich, zum Zusammenbruch seines ganzen Seins. Als sein Vater, den er (als Kind) liebte, starb, konnte er nicht trauern und wurde schwer krank. (Praktischerweise ließ sich die Lungenentzündung auf Schnee und Kälte schieben.)
Meine Mutter hingegen hatte einfach keine Energie, auch das wurde in der Aufstellung deutlich. Von der einen Seite gab es Wahnsinn und Druck zur Unterdrückung, von der anderen Seite nichts. Und ich musste versuchen zu überleben, während sich mein ganzes Körper- und Energiesystem entwickelte, und das in dieser Situation sicher nicht optimal .. .. 

Stand April 2014

 

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