Verantwortung und Depression Ich war in einer
kleinen Elektrofirma tätig, die in erster Linie Blitzschutzanlagen bei
Einfamilienhäusern montierte. Ich saß in dem winzigen Laden in einer Ecke und
tippte halbtags meist Rechnungen an die Blitzschutzkunden - immer der gleiche
Text, die einzige Abwechslung waren der Namen der Kundschaft und die Anzahl der
Tiefenerderfolgestäbe. Eine Arbeit zum Verblöden! Und frustrierend, hatte ich
doch Computerkurse erfolgreich absolviert, sogar eine Programmiersprache
gelernt, und auch schon an Computern gearbeitet. Die Kollegin teilte die
Monteure ein und verwaltete sie irgendwie, und manchmal verkaufte
sie auch irgendein Elektro-Kleinteil oder -Gerät. Eines Tages hieß es
"Sie sind jetzt schon so lange da, also kennen Sie sich gut genug aus
..." - und ich sollte für 2 Wochen das Geschäft alleine hüten. Betreiben
konnte man ja nicht sagen, denn alle waren auf Urlaub, und es gab eigentlich
nichts zu tun. Aber ich hätte mich auskennen sollen, wenn jemand
gekommen wäre und etwas gewollt hätte - und das belastete mich so sehr, dass
ich diese zwei Wochen nur schluchzend in dem Laden saß, und in der
Mittagspause irrte ich ruhelos in den Gassen der Umgebung herum. Denn ich
musste auch am Nachmittag im Büro sein, mein Protest, dass ich nur als
Halbtagskraft angestellt war, wurde vom Tisch gewischt. War ja nur für zwei
Wochen, und es musste doch jemand im Büro sein. Was ziemlicher Quatsch war, das
Büro hätte genausogut zwei Wochen geschlossen sein können, es wäre wohl kaum
jemandem aufgefallen. Viele Jahre später lief eine Gewährleistungsfrist ab, die Mieter des
Gemeindebaus wurden davon verständigt und gaben eventuelle Mängel
bekannt. Dummerweise hatten sowohl der Chef und seine Frau als auch der einzige
Mitarbeiter im Büro gerade zu dem Zeitpunkt einen Urlaub gebucht, als diese
Mängel bearbeitet werden mussten (bzw. war mit den Aufforderungen zu der
Mängelbekanntgabe zu lange gewartet worden, man hätte es ja auch einen Monat
früher machen können). In den letzten drei Tagen vor dem Urlaub sahen sich der Chef
und der Mitarbeiter die Mängel bei den Mietern an und machten sich etwas
notdürftig Notizen, und die Frau des Chefs hatte eine Datei vorbereitet, die
ich benutzen sollte. Damit meinten sie mich alleine lassen zu können, ich
sollte nun alle Firmen von den zu erledigenden Arbeiten verständigen und die
Mieter benachrichtigen, welche Mängel tatsächlich welche wären und wer sie
beheben würde. Das ganze unter Zeitdruck, da ja sonst die Frist ablief. Für eventuelle technische
Auskünfte dahingehend, welche Firma für welchen
Mangel zuständig sein könnte, sollte ich den zweiten Mitarbeiter anrufen, der
auf einer Baustelle im Baubüro arbeitete. Wiederum einige Jahre später wurde die Lage im Büro erneut kritisch. Das Büro sollte geschlossen werden, meine Arbeitszeit hatte bereits ein fixes Datum als Ende, zu diesem Zeitpunkt sollte die Abrechnung der letzten beiden Projekte so weit wie möglich fertig sein. Inzwischen hatte ich in von einer Therapeutin Achtsamkeit gelernt, und so konnte ich die ersten Anzeichen von Panik registrieren, wenn ich daran dachte, wie sich die Arbeit zum Schluss häufen würde. Und ich konnte auch mein Verantwortungsgefühl bei dieser Sache spüren und die Entscheidung treffen, mich nicht für das verantwortlich fühlen zu wollen, worauf ich keinen Einfluss hatte. Täglich sagte ich mir vor: "Ich bin nicht verantwortlich dafür, dass die Arbeit fertig wird". Ob die Kollegen mit ihrer Arbeit nicht fertig wurden, sodass sie nicht rechtzeitig an mich weitergeleitet wurde, ob mir Arbeiten aufgetragen wurden, die ich als unsinnig und Zeitvernichtung empfand - ich lehnte die Verantwortung fürs Fertigwerden der Arbeit ab und konnte spüren, wie eine schwere Last von mir wich und ich mich entspannte. Zugegeben, ich habe nicht durch eine Therapie Heilung in der Weise erfahren, dass mich Verantwortung nicht mehr belastet. Ich habe lediglich jene Achtsamkeit erlernt, die es mir ermöglichte zu erkennen, dass ich im Begriff war Verantwortung zu übernehmen, die nicht in meinen Bereich gehörte, und welche Auswirkung dies auf mich hatte. Aber immerhin, das ist mehr als zwei - angeblich erfolgreiche - Therapeuten davor zusammengebracht haben. |
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