vor 15

Von meinen Krankheitsgeschichten der frühen Kindheit weiß ich nur so viel als meine Eltern für erwähnenswert hielten. Die Hüftgelenkskorrektur - ein paar Monate zu spät - ist durch ein Foto belegt, auf dem durch eine Decke nur unvollständig verhüllt zu sehen ist, wie meine Beinchen durch Gurte in eine Art Froschstellung fixiert wurden. Meine Mutter erwähnte mal, ich hätte mich damals anscheinend nicht so recht wohl gefühlt und konnte nur auf der Brust meines Vaters schlafen. Nicht so recht wohlgefühlt - ich kann mich nur wundern! Wie kann sich denn ein Kind fühlen, das monatelang in einer unnatürlichen Stellung gefesselt wird?! Von meinem Onkel weiß ich mittlerweile, dass ich tagelang geweint und geschrieen habe, und es wenig half, dass meine Oma mich in dieser Zeit den ganzen Tag herumtrug. Das hat meine Mutter offenbar verdrängt ...
Diese Stellung sollte den einen zu flach geratenen Knochen meines Hüftgelenks "ausbeulen". Das Ergebnis ist, dass beide Seiten zu sehr "ausgebeult" wurden, was mir schon in der Volksschulzeit eine Bewegungseinschränkung verschaffte, unter der ich speziell im Turnunterricht sehr gelitten habe. Anscheinend war keine Nachkontrolle erfolgt, und es machte sich auch niemand Gedanken darüber, es hieß einfach, ich müsse mich halt anstrengen und Gymnastik machen. So wurde einfach mir die Schuld zugeschoben, wenn ich beim Rad-schlagen und Bock-springen versagte. So richtig bewusst war mir damals auch nicht, dass ich mit einem Hüftgelenksdefekt auf die Welt gekommen war. (Wenn ich über die damaligen gymnastischen Übungen nachdenke, fällt mir im übrigen keine ein, die geeignet gewesen wäre, die Beweglichkeit der Beine zur Seite hin zu verbessern. Also  jene Einschränkung, die am gravierendsten war. Da waren Übungen, wo ich die Beine nach vorne und nach hinten schwingen musste, Übungen für die Schultern, und Kniebeugen, die ich hasste, weil sie mir Kribbeln im Bauch verursachten. Aber vielleicht habe ich die anderen Übungen bloß vergessen ?)

Bevor ich in die Schule kam, wurden mir die Mandeln entfernt. Ich erinnere mich an den Wattebausch vor dem Gesicht und den Gedanken, dass ich mich einfach nicht betäuben lasse, bin doch so mutig, dass ich keine Narkose brauche. Danach war ich auch so "mutig" und trank trotz des Brennens im Rachen Apfelsaft. Begründet wurde diese Operation damit, dass ich oft krank gewesen wäre, eine Mandelentzündung nach der anderen. Auf Nachfrage erklärte mir mein Vater, dass ich dazwischen gar nicht richtig gesund geworden war, sondern kaum, dass Besserung eingetreten war, es sich schon wieder verschlimmert hatte. Ich weiß allerdings nicht, wann diese Erkrankungen gewesen waren. Warum erinnere ich mich nicht daran? Wenn sie schon länger zurück lagen, warum die Operation erst jetzt? Ja richtig, wegen der Schule, damit ich nichts versäume. Lange Zeit fand ich diese Erklärung "normal", bis ich endlich begriff, was mich doch daran störte. Niemals hatten meine Eltern gesagt, dass sie mir Leid ersparen wollten. Es ging immer nur darum, dass ich in der Schule nichts versäume. Ich las einmal, dass die Entfernung der Mandeln sich negativ auf die Gedächtnisleistung auswirken. Keine Ahnung, ob das stimmt. Wenn ja, dann war diese Aktion richtig toll kontraproduktiv!

Im Kindergottesdienst soll ich mir eine Blasenentzündung geholt haben. Dies weiß ich auch nur deswegen, weil es die Begründung dafür war, dass ich darauf achten musste mich warm anzuziehen und nicht auf kaltem Untergrund zu sitzen. 

Ein Leiden blieb mir bis heute: schwache Bänder an den Fußknöcheln. Heute werden sie durch meine langsame Fortbewegung nicht mehr so beansprucht, doch als Kind verstauchte ich mir die Knöchel oft, dazu brauchte ich nicht mal umkippen. Angeblich hat mein Vater mich oft heimgetragen deswegen. Ich erinnere mich daran, wie ich noch in der Oberstufe mal der Länge nach auf dem Gang hinfiel, weil mir der Fuß einfach weggeknickt war. Diese Schwäche war eine Begründung dafür, dass ich nicht Schifahren und Eislaufen lernen durfte, trotzdem hatte ich in der Volksschulzeit Rollschuhe, solche Dinger mit 4 Rädern, die man über die Schuhe schnallt. Ich war sehr ungeschickt damit und fürchtete mich so sehr davor zu stürzen, dass ich es nie richtig lernte. Mit etwa 14 Jahren durfte ich dann doch Eislaufen gehen, auch das lernte ich nie wirklich, meine Füße verkrampften so sehr, dass es sehr schmerzhaft war. Die schwachen Bänder waren kein wirksames Gegenargument, als eine Turnprofessorin mich zwang an einem Schul-Schikurs teilzunehmen. Es war der reinste Albtraum!

Betreffend Kinderkrankheiten erinnere ich mich an Mumps und daran, dass ich ganz bestimmt kein Scharlach hatte, und trotzdem deswegen einige schlimme Tage im Spital erlebte. Ich hatte einen Auschlag bekommen, der wie Scharlach aussah, und das genau während einer Scharlachepidemie. Ich landete im Krankenhaus, in einem Saal voller Kinder mit Scharlach. Erst einige Stunden später erkannte bei der Visite ein Arzt, dass ich gar nicht krank war. Nun kam ich in Quarantäne - Einzelhaft wäre das besser zutreffende Wort. Alleine eingeperrt in einem Zimmer, nicht mal auf die Toilette durfte ich gehen, sondern musste auf´s Töpfchen, das die Schwester brachte. Einmal am Tag sah ich meine Eltern durch eine Glasscheibe. Da wir nicht miteinander reden konnten, gingen sie bald wieder. Ich hatte meinen Schlafbewacher-Gnom nicht mitnehmen dürfen, und die Decke war so kurz, dass ich sie nicht wie gewohnt bis zur Nase hinaufziehen konnte, weil sonst die Füße im Freien waren. Als "Beschäftigung" gab es nur ein paar zerlesene Donald Duck-Hefte, in denen die Geschichten auch noch unvollständig waren, weil es Fortsetzungsgeschichten waren und die Hefte nicht die aufeinanderfolgenden. Dieses Erlebnis brachte mir panische Angst vor Situationen ein, in denen ich nichts zu tun habe. Nach diesen Tagen bekam ich als "Belohnung" das Buch "Die kleine Hexe" geschenkt. Ich hätte es dort gebraucht, nicht nachher! Aber wenn ich es schon dort bekommen hätte, dann hätte ich es angeblich dort lassen müssen, so erfuhr ich von meinem Vater. Was für ein Argument! Als ich entlassen wurde, durfte ich mir etwas wünschen, und ich wünschte mir, mit dem Taxi heimzufahren. Das hat vermutlich mehr gekostet als das Buch ein zweites Mal! Außerdem las ich ja auch viele andere Bücher nur einmal, holte sie mir aus der Leihbücherei. Aber ein Buch, das gekauft worden war, das konnte man natürlich nicht in einem Spital lassen! Da überließ man lieber ein 9jähriges Kind der Langeweile ....

Sonst gab es natürlich die üblichen Erkältungen im Winter, manchmal schlimmer, manchmal weniger schlimm. Daheim oder gar im Bett bleiben war natürlich nur bei Fieber drinnen. Oft ging ich zur Schule, obwohl ich alles andere als fit war. Aber ich durfte ja nichts versäumen ....  Wenn es doch mal so schlimm war, dass ich im Bett bleiben durfte, hieß es bald wieder aufstehen und den Kreislauf an die aufrechte Position zu gewöhnen, kaum dass das Fieber sank. Wie oft hing ich dann auf einem Sessel herum und wünschte mir nur wieder ins Bett gehen zu dürfen! Woher kam bloß diese Idee, dass der Kreislauf so bald wieder "trainiert" werden müsste?! Ich kann mich nicht erinnern, mich jemals so erholt gefühlt zu haben, dass ich von selbst aufstehen wollte. 

Relativ oft dürfte ich auch mit Magenproblemen zu tun gehabt haben. Jedenfalls habe ich lebhafte Erinnerung an dieses entsetzliche und oft erfolglose Würgen, wenn mir übel war. Und dass es mir dann oft in die Nase hochstieg, wenn es doch ging. Und an Magenbitter, das mir aufgezwungen wurde und überhaupt nicht half, die Lage eher verschlimmerte, vor allem dann, wenn die Übelkeit nicht vom Magen kam sondern - so weiß ich heute - von einer Überlastung der Leber. So weit es ging, habe ich deshalb diese Art Übelkeit verheimlicht.

Wann genau sich meine Rückenprobleme entwickelten, weiß ich nicht mehr, doch habe ich heute noch "steh gerade" und "sitz gerade" im Ohr, und zu Hause, wo kein "Fremder" es sehen konnte, bog mich mein Vater oft in die von ihm gewünschte Form, indem er mir die Daumen in den Rücken bohrte und die Schultern mit den Fingern nach hinten zog. So sollte ich mich den ganzen Tag halten, doch schaffte ich es immer nur ein paar Sekunden. Muskelschwäche und Bewegungsmangel (und natürlich Angst) sind halt nicht die richtigen Voraussetzungen dafür - konnte er das nicht begreifen?! Den Geradhalter, der mir in den Nächten aufgezwungen wurde, hatte ich rasch ruiniert, und die Drohung, dass ich das Ding auch in der Schule tragen müsse, war eine leere - das wäre ja blamabel gewesen!

Mit der Pubertät kam dann der Zahnzerfall. Ich war so stolz gewesen auf meine schönen Zähne, auch wenn sie ziemlich klein und empfindlich waren. Zuerst war es ein kleines Loch, dann wurden es bei jeder Sitzung mehr, sie wurden immer größer, und schließlich brachen mir sogar Stücke weg. So kam ich zu jeder Menge Amalgam in meinem Mund.

 

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