Die inneren Kinder und die Mutter

Irgendwann war da die Frage - ich glaube, es war in der sogenannten Traumatherapie:
Will ich mich für meine Mutter opfern? Will ich wegen ihr auf Gesundheit und Glück verzichten?
Ich sagte „Nein“ und meinte es auch so .. .. 

Doch so einfach ist das nicht, denn es gibt das sogenannte loyale Kind. Egal, was die Eltern taten, es liebt sie, und alles ist richtig, was sie taten. Das loyale Kind erträgt es nicht, wenn die Mutter leidet, sie muss immer wieder angerufen werden, ihr Leid klagen dürfen, sie muss besucht werden, unterhalten .. .. und wenn sie ins Spital muss, gibt es nichts anderes als hinzufahren und sie mit allem zu versorgen, was sie braucht. Auch wenn sie sagt, sie brauche nichts, und wenn sie mit ihrem Krank-sein eine Urlaubsreise verhindert .. ..

Dann gibt es aber noch andere innere Kinder, die wollen das alles einfach nicht. Dann schrie ich schon mal „Nein, ich will nicht, ich will nicht“ .. .. und fuhr dann doch ins Spital. Nutzte zu heißes oder zu kaltes Wetter als Ausrede um nicht zu Besuch zu kommen, oder es ging mir zu schlecht .. .. ah, wie war das noch mal mit dem Verzicht auf Gesundheit? 
Bis das loyale Kind zu unruhig wurde, und ich mich dann doch zu einem Besuch aufraffte. Aber wenn ich sie anrief, den Besuch ankündigte und sie „ich freue mich drauf“ flötete, hätte ich ihn am liebsten sofort wieder abgesagt. Ob es der Wächter war, der ein Kind davor schützen will, immer und immer wieder zu viel Energie an die Mutter abzugeben, weil sie sich dann freut? Ich löste das Problem, indem ich meinen Mann anrufen ließ, da konnte sie flöten, was sie wollte - aber bei ihm machte sie das gar nicht.

Ich nahm an einem Workshop teil, da wurden mir die Augen verbunden und ein Gegenstand in die Hand gedrückt. Es war eine Puppe, das erkannte ich schnell, sie fühlte sich an wie die Puppen, die ich als Kind hatte. Ich beschrieb, wie sich die Puppe für meine Finger anfühlte, also glatt, kühl etc. .. .. und wartete darauf, dass ich sie weglegen durfte, um einen anderen Gegenstand zu bekommen. Ich durfte aber nicht, denn die Aussagen, welche Gefühle sie in mir auslöste, fehlte. Ich war völlig blockiert, fühlte nichts, verstand nichts, aber allmählich liefen Tränen aus meinen Augen.

In meinen Erinnerungen war der Vater der „Böse“. Er war eiskalt, streng, stellte unmögliche Forderungen .. .. die Mutter schien mir nur eine Nebenrolle zu spielen. Aber sie war es gewesen, die meine Puppen weggeworfen hatte, als ich in der Schule war. Ihre Erklärung, als ich entdeckte, dass sie weg waren: ich sei schon zu alt für Puppen. (Dass sie selbst alles verloren hatte in diesem Alter, ist lt. Workshop-Leiterin eine Erklärung, keine Entschuldigung.) 
Ich erinnere mich, dass ich schockiert war, aber es ist nur eine mentale Erinnerung, keine gefühlte. Dieses Gefühl war auch beim Workshop blockiert worden, durfte nicht sein. Dennoch hat sich etwas verändert, das loyale Kind zog sich etwas zurück. Ein paar Tage später habe ich meine Mutter auf die Bank begleitet, das hatte ich ihr vor dem Workshop versprochen. Sie war schlecht drauf an diesem Tag, geradezu senil. Ich war völlig fertig danach.

Es geschah etwas, wo ich meinte, ihr Bescheid sagen zu müssen. Ein paar mitfühlende Worte, die Frage, wie ich zurecht käme in der Situation, die wären auch ganz gut gewesen, aber nicht absolut notwendig. Doch sie stammelte nur  „schrecklich“ und irgendwelches sinnloses Zeug .. .. und die nächsten zwei Tage rief sie wiederholt an, um im Generalston Information einzufordern, ob es was Neues gäbe vom Patienten. Schließlich beschwerte ich mich, dass sie sich gar nicht dafür interessiere, wie es mir gehe. Aber es sei doch klar, dass ich nervös sei, bekam ich zu hören. Ich war überhaupt nicht nervös, nur alleine und überfordert .. .. und mein loyales inneres Kind hatte sich nun offenbar ganz zurückgezogen.
Ich hatte meine Mutter gebeten, erst in drei Tagen wieder anzurufen, wenn ich wirklich Bescheid wüsste, aber nun, da ich Interesse an mir gefordert hatte, rief sie gar nicht mehr an. Naja, irgendwann dann doch .. .. sie konnte mit dem inzwischen zu Hause weilenden Patienten selbst sprechen, und dass ich im Garten war, reichte ihr als Auskunft über mein Befinden. 

Es ergab sich, dass ich mehr und mehr ein extrem zorniges inneres Kind (weil die Mutter nie zuhörte, es - also das Kind -  gar nicht mochte) wahrnahm, dann noch ein sehr trauriges, und ein überfordertes kannte ich schon länger. Ich hatte keine Lust meine Mutter anzurufen, aber dass sie nicht bescheid wusste, war unerträglich (meine Eltern verlangten immer zu wissen wo ich bin und was ich dort mache - wehe, es stellte sich heraus, dass ich woanders war oder was anderes machte - ich vermute, dass dies der Grund war) und schrieb ihr einen Brief, schrieb ihr von diesen inneren Kindern, und dass ich nicht wie bislang die brave Tochter sein könne, die zuhört, auf Besuch kommt .. .. . Da rief sie ganz schnell an und sagte, sie habe den Eindruck, sie hätte nun ihr letztes Kind verloren. Ja, hat sie, doch das loyale Kind bewirkte wohl doch, dass ich ihr schnell versicherte, dass es nicht um Schuld gehe, es sei eben wie es sei. Und ich wisse, dass sie noch viel Schlimmeres durchgemacht hätte .. .. meine Mutter sagte, sie wolle mal noch mehr drüber reden, mehr verstehen .. .. und zuletzt bat sie um Entschuldigung. Dazu sagte ich nichts .. .. es ist nicht entschuldbar .. .. die Kinder bleiben bestehen, und zwar traurig, zornig, überfordert, selbst wenn es ihr leid tut. Aber sie sagte nicht mal, dass es ihr leid tue, sie kam nur mit dieser Bitte, dass ich entschuldigen solle. 

10 Tage vergingen, mein zorniges inneres Kind randalierte. Ich rief also meine Mutter an und fragte sie, wie sie sich das denn vorgestellt hätte, dass wir da drüber reden. „Naja“, sagte sie, „ihr kommt doch sicher mal wieder auf Besuch, und dann .. ..“
Nein, so geht das nicht! Ich weiß  nicht, wann und ob meine inneren Kinder sich beruhigen werden .. .. und das bekam sie auch zu hören. Sie muss sich schon ein bisschen bemühen und fragen, wenn sie was wissen will .. ..  Sie denke auch viel darüber nach, sagte sie noch, und sie rede mit dem Sozialarbeiter und dem Arzt .. .. ja klar, die werden ihr über meine inneren Kinder bescheid sagen können. „Entweder Du fragst mich oder Du sagst, dass es Dich nicht interessiert“ .. .. aber so Halbheiten, Hoffnung aufrecht erhalten, nein, da spiele ich nicht mehr mit. Sie werde darüber nachdenken, sagte sie. Nun, sie denkt jetzt schon lange nach, oder wahrscheinlich eher nicht. 

Ich hingegen denke sehr viel an sie, d.h. es sind wohl die inneren Kinder, die sich laufend zu Wort melden und (auch spätere) Erinnerungen hochspülen. Wie ich zum Ende der Volksschulzeit weinte, weil ich meine Schulkameraden nie wieder sehen würde .. .. und sie sagte nur, ich würde doch neue kennenlernen in der neuen Schule. Wie sie mir verboten hat meinen ersten selbstgestrickten Pullover zu tragen - er war zu auffallend, zu plakativ bunt. Wie ich mir dauernd anhören konnte, dass der Krieg bzw. der Hunger daran schuld war, dass ihre Zähne so schlecht seien, und als meine zerbröckelten schien sie das nicht mal zu bemerken (der Vater auch nicht). Wie sie an allem rummäkelte, was mir Freude machte: „was machst dir denn so viel Arbeit damit .. ..“ Und wie es dann geradezu spürbar war, dass die Welt für sie in Ordnung war, sobald es mir keine Freude machte, zu viel wurde. Wie sie fast triumphierend „gell, das hast du nicht gewusst“ ins Telefon sprach, nachdem sie mich durch ein Verplappern damit geschockt hatte, dass die elterliche Wohnung der Freundin meines Bruders gehört. Wie ich nach dem Tod ihres Mannes das einzige war, was sie „noch hatte“ und ihr versprechen sollte, nicht vor ihr zu sterben.  Wie sie forderte, wir mögen uns „irgendwas im Inland anschauen“ statt einer interessanten Auslandsreise, einer Fahrt ans Meer. Wie egal welches Leiden, das ich erzählte, dazu gut war, dass sie irgendein „ich auch“ anbringen konnte, ja nur darauf zu warten schien. Längst erzähle ich ihr am liebsten gar nichts, weil ich ihre Reaktionen nicht ertrage. Ihr zuhören und  Sätze mit „man muss ja .. ..“ abbekommen  schon gar nicht, und ganz besonders hasse ich den Satz „Es muss ja immer etwas sein, damit es einem nicht zu gut geht“.

Und ich denke daran, was ich ihr trotzdem gerne alles sagen würde, wenn ich das Gefühl hätte, sie würde mir zuhören. Das aber jedes Mal zerstört wird, sobald wir wirklich in Kontakt sind. 

Ein Anruf vom Heim, sie ist wieder mal gestürzt, ins Spital gebracht worden .. .. und dann nichts. Wir hatten eine angekündigte Telefonstörung am nächsten Tag, danach rief ich an, sie war längst wieder zu Hause, noch vor der Störung, von der sie wusste, hatte es nicht für nötig gehalten mich zu informieren, und ja, es war wie immer. Fragen um das Gespräch in die Länge zu ziehen, aber bloß nicht das Wesentliche berühren. Wie es mir mit dem Stiegensteigen ginge unter anderem. Ich lenkte auf die inneren Kinder um .. .. und dass ihre dafür verantwortlich seien, dass sie schwindlig werde und dann stürze (immer auf den Hinterkopf, obwohl sie generell vorgeneigt geht). Sie stimmte wie immer zu .. .. „wahrscheinlich hast du recht“ .. .. aber gleichzeitig will sie unbedingt in ihrem Blutbefund einen Grund finden, und eine Therapeutin macht wegen der Stürze mit ihr irgendwelche Übungen, obwohl die ganz offenbar gar nichts helfen.
Aber so ist das in unserem System, noch sind innere Anteile nicht anerkannt, ja, es weiß kaum jemand davon, und alles läuft auf der physischen Ebene, Übungen, Medikamente, was auch immer. Man kann einfach nicht akzeptieren, dass auf der Ebene nichts mehr zu machen ist, bzw. merken die Ärzte / Therapeuten es zwar irgendwann, haben aber keine Erklärung. Leider besteht meine Mutter praktisch nur mehr aus Überlebensprogrammen, und wenn die inneren Anteile rebellieren, geht das nur auf der Körperebene. Eine Fühlarbeit, mit der ich mir schon schwer tue, ist für sie unmöglich. Zwar fände ich es gut, wenn sie zu ihren inneren Kindern sprechen würde, und zwar liebevoll, doch auf ihre Frage, ob das was helfe, konnte ich nur mit einem „Nein“ antworten. Sie würde also nur zu ihnen sprechen, wenn sie dann nicht mehr stürzt, nichts mehr weh tut .. .. 

Nach wie vor finde ich es schrecklich, was meine Mutter alles durchgemacht hat, sie ist wirklich ein armer Mensch. Es wäre wunderbar, wenn sie jetzt das bekäme, was sie braucht .. .. aber es geht einfach nicht. Verdrängen, vergessen, sich was vorgaukeln .. .. das ist ihr Programm. Im Heim erzählt sie sogar (habe ich zufällig erfahren), dass sie eine wunderbare Ehe mit einem liebevollen Mann hatte .. .. längst hat sie „vergessen“, dass sie sich mal bei mir beklagt hatte, dass sie nicht mal lachen durfte bei einem lustigen Film. Was? Hat sie doch nie .. .. 

Eine anderes Thema rückte in den Vordergrund: Warum war es nicht möglich gewesen, mir zwei Knödel ohne Marille oder Zwetschke zu machen, das wäre sicher kein Aufwand gewesen. Oder eine Portion Nudeln zur Seite zu tun, ehe sie die anderen in die gerösteten Zwiebeln schüttete .. .. Warum also nicht? Sie muss es doch gemerkt haben, dass ich vieles nicht vertrug, sonst wären die Ermahnungen, ich solle nicht so zimperlich sein, nicht gewesen. Ich bin sicher auch nicht unbemerkt würgend  vor der Kloschüssel gekniet, sonst wäre mir ja nicht auch noch oft Magenbitter aufgezwungen worden. Und trotzdem, diese Information, die einer erwachsenen, aufmerksamen Mutter zu denken gegeben hätte, war irgendwie bei meiner Mutter nicht angekommen. Oder vielleicht nur in der Form, dass sie sich selbst bemitleiden konnte, weil sie sich so viele Sorgen um ihr Kind machen muss .. ..  Ich kann es mir erklären dahingehend, dass ich es nur mit ihren inneren Kindern und Überlebensanteilen zu tun hatte, aber mein inneres Kind will keine Erklärungen, es ist zornig, traurig, verletzt  .. .. 

Als ich mit der Energetikerin zu arbeiten anfing (oder eher sie mit mir), wünschte mir meine Mutter, es möge mir ein bisschen helfen. Ein bisschen, ja, das wäre ihr gerade recht gewesen!

Stand November 2016

 

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